Einleitung / Problemaufriss |
Beim Verkleben von Fußbodenbelägen können gesundheitsschädliche Lösemittel ausgasen. Neuere Bodenbelagskleber enthalten Lösemittel, die sehr langsam verdunsten und über deren Giftigkeit nur wenig bekannt ist. Diese sogenannten "Hochsieder" können jedoch jahrelang intensive Geruchsbelastungen verursachen. Aufgrund einer 1994 eingeführten Lösemitteldefinition dürfen hochsiederhaltige Kleber als "lösemittelfrei" bezeichnet werden. Mittlerweile gibt es Produkte, die weder leichtflüchtige Lösemittel noch Hochsieder enthalten
Seit langem ist bekannt, dass Bodenbelagskleber aufgrund ihres Gehaltes an
leichtflüchtigen Lösemitteln zu den besonders problematischen Bauprodukten
gehören.
Leitkomponenten einer möglichen Innenraumbelastung mit leichtflüchtigen
organischen Verbindungen, sogenannten VOC (volatile organic compounds) sind
unter anderem verzweigte Aromate, z.B. Toluol, Xylol und Alkane. Häufig
werden neben den synthetischen Lösemitteln auch natürliche Lösungsmittel,
hier vor allem Terpene wie Limonen, alpha;- und ß-Pinen, delta-3-Caren,
Eucalyptol u.a. eingesetzt. Aufgrund ihres höheren Siedepunktes gehören
sie zu den Stoffen, die über einen etwas längeren Zeitraum ausgasen. Die
Folgen sind meist länger anhaltende, erhöhte Lösemittelkonzentrationen in
der Raumluft.
Bei der Verklebung von Bodenbelägen ist es in der Vergangenheit immer wieder
zu schweren Unfällen, teilweise mit Todesfolge gekommen. Grund dafür war fast
immer der hohe Anteil von Lösemitteln in den Klebern, die zum größten Teil
während der Verarbeitung verdunsten. Bei unzureichender Lüftung können die
Lösemitteldämpfe in der Atemluft hohe Konzentrationen erreichen, die bei
den Arbeitern zu Bewusstlosigkeit, Atemlähmung und schließlich zum Tod führen.
Auch niedrigere Lösemittelgehalte in der Atemluft können auf Dauer vor allem
Nerven, Leber und Nieren schädigen. Schließlich bilden hochkonzentrierte
Lösemitteldämpfe explosive Gemische, die durch Zigarettenglut oder
Funkenbildung an elektrischen Geräten gezündet werden können - ebenfalls oft
mit katastrophalen Folgen. Aus diesen Gründen entwickelten die Hersteller
von Bodenbelagsklebern in den vergangenen Jahren Klebstoffe, in denen die
organischen Lösemittel durch Wasser ersetzt wurden. Allerdings gelang das
nur teilweise; ein geringer Lösemittelanteil war in diesen sogenannten
Dispersionsklebern meist immer noch enthalten, um während der Herstellung
das Klebeharz mit dem Wasser zu vermischen. Und für diese Aufgabe ist nicht
jedes Lösemittel geeignet, denn es muss selbst mit Wasser mischbar sein.
Verwendet werden vor allem Glykole und Glykolverbindungen wie z.B.
2-Butoxyethanol, 2-Phenoxyethanol, 2-Phenoxypropanol, Butyldiglykol,
Butyldiglykolacetat und andere, welche im Gegensatz zu klassischen Lösemittel
mit Wasser mischbar sind, aber aufgrund ihres hohen Siedepunktes nur langsam
verdampfen. Die Folge: nach Anwendung dieser Kleber ist die Luftbelastung
anfangs niedriger als bei konventionellen, stark lösemittelhaltigen Produkten,
nimmt aber mit der Zeit zu und kann über Monate und Jahre anhalten.
Im Oktober 1994 wurde die Technische Richtlinie für Gefahrstoffe (TRGS)
Nr. 610, in der die Definition von Lösemitteln niedergeschrieben ist,
überarbeitet. Wichtigste Neuerung: Als Lösemittel galten ab sofort nur
noch Substanzen mit einem Siedepunkt unterhalb von 200°C. Phenoxyethanol
beispielsweise hat aber einen Siedepunkt von 245°C und ist damit laut TRGS
610 kein Lösemittel mehr. Der Hersteller, der fortan seinen wasserlöslichen
und phenoxyethanolhaltigen Kleber als "lösemittelfrei" bezeichnete,
verhielt sich im juristischen Sinne einwandfrei, auch wenn die gewählte
Lösemittel-Definition unter Fachleuten sehr umstritten ist.
Über die toxikologischen Eigenschaften der Glykole und Glykolverbindungen
ist nur sehr wenig bekannt. Die wenigen existierenden Grenzwerte liegen so
hoch, daß eine Kennzeichnung der entsprechenden Produkte nicht
notwendig ist.
Im Handel erhältlich ist mittlerweile eine schon beinahe unüberschaubare
Vielfalt von unterschiedlichen Textilbelagsklebstoffen mit mehr oder weniger
großem Lösemittelanteil. In neuester Zeit sind Textilbelagsklebstoffe auf
dem Markt, die nach einem Klassifizierungssystem der Gemeinschaft
Emissionskontrollierter Verlegewerkstoffe e.V., Düsseldorf (GEV)
als "sehr emissionsarm" (EMICODE EC 1) eingestuft sind. Dabei
erfolgt die Einstufung des geprüften Klebstoffes anhand der Gesamtemission
flüchtiger organischer Stoffe (TVOC) in einer standardisierten Prüfkammer
nach 10 Tagen (10-Tage-Wert), welche nach den Zuordnungskriterium der
GEV kleiner als 500 µg/m³ liegen muß. Zudem dürfen nach
diesen Vergabekriterien 24 Stunden nach Einbringen in die Prüfkammer
die K-Stoffe (krebserregende bzw. krebsverdächtige Stoffe nach TRGS 905)
Benzol < 2 µg/m³, Acrylamid und Acrylnitril <
10 µg/m³ sowie Vinylacetat, 1,4-Dioxan, Formaldehyd und
Acetaldehyd < 50 µg/m³ nicht nachweisbar sein.
GISCODE:
Gefahrstoff-Informationssystem der Bau-Berufsgenossenschaft
D1-Kleber:
enthalten keine Lösemittel mit Siedepunkt unter 200°C (aber i. d. R.
Hochsieder)
EMICODE:
Klassifizierungssystem der Gemeinschaft Emissionskontrollierter
Verlegewerkstoffe e.V. (GEV) < 500 µg/m³ sehr emissionsarm EC1
Emissionsklasse | allgemeine Bezeichnung | EMICODE |
---|---|---|
<500 µg/m³ | sehr emissionsarm | EC 1 |
500 - 1500 µg/m³ | emissionsarm | EC 2 |
> 1500 µg/m³ | nicht emissionsarm | EC 3 |
Prüfbedingungen:
Kammerprüfung bei 23°C und 50 % rel. Luftfeuchte, ½ Luftwechsel/h,
Klebstoffauftrag von 300 g/m³ auf eine 50 x 40 cm große
Glasplatte, Beladung 0,4 m²/m³, Zahnspachtel B1,
Gesamtemission flüchtiger organischer Stoffe (TVOC) nach 10 Tagen
(10-Tage-Wert)
Im Juni 1996 erhielten wir eine Anfrage der Gefahrstoffbeauftragten der
Humboldt-Universtät. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines
Universitätsinstituts hatten sich über üble Gerüche und gesundheitliche
Probleme beschwert, die seit ihrem Umzug in frisch renovierte Büroräume
auftraten. Geplant war der Umzug des gesamten Instituts mit allen
Beschäftigten, da die bisher genutzten Räume ebenfalls renoviert und
umgebaut werden sollten. Aufgrund der Beschwerden konnte aber der Umzug
nicht wie geplant durchgeführt werden, da auf Druck der Beschäftigten zunächst
eine eventuelle gesundheitliche Gefährdung durch die vermuteten Schadstoffe
in der Raumluft geklärt werden sollte. Die Arbeiten in den alten Büroräumen
konnten natürlich auch nicht vor Abschluss des Umzugs begonnen werden.
Die Räume befanden sich in einem Gebäudekomplex, der bis zum Frühjahr 1996
grundsaniert worden war. Unter anderem war in allen Büros Teppichboden verlegt
worden. Die Arbeiten dauerten in Teilen des Gebäudes zum Zeitpunkt der
Untersuchung noch an.
Bei der Begehung des Raumes beschrieb ein ALAB-Mitarbeiter den Geruch als
"süßlich- muffig, dumpf". Da bei der Gebäudesanierung mit
lösemittelhaltigen Produkten gearbeitet wurde, vermuteten wir die aus Farben,
Lacken, Dichtmassen, Klebstoffen usw. ausgasenden Lösemittel als Ursache des
Geruchs. Möbel und Einrichtungsgegenstände fielen als mögliche Quellen weg,
weil sie bereits vor dem Umzug in Benutzung waren und in den alten Büros nie
Beschwerden aufgetreten waren.
Die erste Raumluftmessung auf Lösemittel fand im Juni 1996 statt. Die
Ergebnisse entsprachen nur teilweise den Erwartungen; neben einer Vielzahl
flüchtiger organischer Verbindungen, die üblicherweise als Lösemittel
eingesetzt werden, wiesen wir eine Substanz namens "Phenoxyethanol"
in hohen Konzentrationen nach, die uns bis dahin als Innenraumschadstoff nicht
aufgefallen war ¹. Geruchsvergleiche legten den Schluss nahe, dass
die Hauptursache des bemängelten Geruchs eben dieses Phenoxyethanol war. Nach
weiteren Materialuntersuchungen der im Rahmen der Sanierungsarbeiten verwendeten
Produkte stand fest, dass ein Bodenbelagskleber die Quelle für das nachgewiesene
Phenoxyethanol war. Die verantwortlichen Bauleiter fielen damals aus allen
Wolken, denn die verwendeten Teppichkleber waren größtenteils als besonders
umweltfreundlich und als lösemittelfrei gekennzeichnet.
In der Folgezeit wurden bis zum Frühjahr 1999 mehr als 100 Raumluft- und
Materialproben untersucht.
Anhand der Ergebnisse der Raumluftuntersuchungen wurde über die Dringlichkeit
von Sanierungsmaßnahmen entschieden. Als Orientierungswert diente dabei eine
Richtkonzentration für Phenoxyethanol von 100 µg/m³
(s. "Bewertungsprobleme").
Da bei den Verlegearbeiten unterschiedliche Teppichkleber verwendet wurden,
musste vor der Sanierung teilweise durch Materialuntersuchungen geklärt werden,
in welchen Bereichen phenoxyethanolhaltige Produkte zum Einsatz gekommen waren.
Dazu wurden Proben des verlegten Teppichs mit anhaftenden Kleberresten entnommen
und untersucht.
Angaben über die Zusammensetzung, insbesondere den Lösemittelgehalt, der
Bodenbelagskleber waren z.T. nur schwierig oder gar nicht erhältlich. Auch die
sicherheitstechnischen Datenblätter boten kaum Orientierung. Zudem waren z.T.
die Rezepturen der Kleber verändert worden, ohne dass dies durch eine geänderte
Produktbezeichnung erkennbar war. Zur Sicherheit wurden daher die in Zukunft zu
verwendenden Kleber auf Lösemittel untersucht.
Von 63 untersuchten Büroräumen wiesen 27 Räume (43%) eine Raumluftbelastung mit Phenoxyethanol von über 100 µg/m³ auf. In drei Räumen lag die Belastung sogar über 300 µg/m³. Alle Untersuchungen waren bei "worst-case" Bedingungen (über Nacht geschlossene Fenster und Türen, Raumlufttemperatur > 18°C) durchgeführt worden.
Zur Bewertung von Phenoxyethanol in der Atemluft existieren - wie für die
meisten der hier behandelten Glykolverbindungen - keinerlei Richt- oder
Grenzwerte. Die "Verordnung über Arbeitsstätten"
(Arbeitsstättenverordnung, ArbStättV), in der die Anforderungen an den
Arbeitsschutz in Büroräumen festgelegt sind, behandelt das Thema
"Luftqualität" leider recht stiefmütterlich. Dort heißt es in § 5
lediglich: "In Arbeitsräumen muß (....) während der Arbeitszeit
ausreichend gesundheitlich zuträgliche Atemluft vorhanden sein". Die
dazugehörige Richtlinie (Arbeitsstättenrichtlinie, ASR 5) wird nur wenig
präziser: "Ausreichend gesundheitlich zuträgliche Atemluft ist in
Arbeitsräumen dann vorhanden, wenn die Luftqualität im wesentlichen der
Außenluftqualität entspricht (....)." Wortwörtlich angewendet auf
Phenoxyethanol würde das bedeuten: wenn in der Büroluft die Substanz
Phenoxyethanol, egal in welcher Konzentration, nachweisbar ist, liegt ein
Verstoß gegen die Arbeitsstättenverordnung vor, denn Phenoxyethanol ist
in der Außenluft nicht vorhanden. Gleiches gilt übrigens für viele andere
flüchtige Verbindungen, die in Farben, Lacken, Klebstoffen, Kunstharzen und
Dichtungsmaterialien enthalten sind und nach einer Renovierung die Luft
belasten. Die Einhaltung der Arbeitsstättenverordnung wäre somit gegenwärtig
nur möglich, wenn auf Bau- und Renovierungsmaßnahmen vollständig verzichtet
würde.
Aufgrund der offenkundig fehlenden Anwendbarkeit der Arbeitsstättenverordnung
in unserem konkreten Fall beauftragten wir im Frühjahr 1997 ein
Fachinstitut~ mit der Ableitung einer Innenraumluft-Richtkonzentration für
Phenoxyethanol. In dem Gutachten wurden folgende Richtkonzentrationen angegeben:
Toxikologisch begründete Innenraum-Richtkonzentration: | 300 µg/m³ |
Vorsorgeorientierte Richtkonzentration auf der Basis der Geruchsschwelle: | 100 µg/m³ |
Da die Gutachter ausdrücklich auf den mangelhaften Kenntnisstand und fehlende
toxikologische Daten zu Phenoxyethanol hinwiesen, wurde aus Vorsorgegründen
und um langanhaltenden Geruchsbelastungen vorzubeugen, die niedrigere
Richtkonzentration von 100 µg/m³ als Maßstab zur Beurteilung der
Raumluftqualität in den untersuchten Büroräumen gewählt.
Anders als bei konventionellen Bodenbelagsklebern auf der Basis von
leichtflüchtigen Lösemitteln klingt nach der Verwendung von wasserbasierenden
Klebern mit hochsiedenden Glykolverbindungen die Luftbelastung nicht innerhalb
von Tagen oder Wochen auf unkritische Werte ab. Es kann Monate bis Jahre dauern,
bis sich die Hochsieder soweit verflüchtigt haben, dass die Geruchsschwelle
unterschritten wird. Auch häufiges Lüften beschleunigt den Abdampfprozess nicht
wesentlich. Abwarten und Lüften ist daher kein erfolgversprechendes
"Sanierungskonzept".
Zur Erprobung verschiedener Sanierungsschritte wurde an der Humboldt-Universität
in einem Versuchsraum zunächst lediglich der Teppichboden entfernt. Am Estrich
anhaftende Kleberreste blieben an Ort und Stelle. Anschließende Untersuchungen
ergaben eine lediglich geringe Abnahme der Raumluftbelastung, ohne daß die
Richtkonzentration von 100 µg/m³ unterschritten wurde.
In einem weiteren Schritt wurden nun sämtliche Kleberreste entfernt. Diese
Arbeiten gestalteten sich sehr mühsam und aufwendig, da die elastischen
Kleberreste nur schwierig zu entfernen waren. Beim Arbeiten mit
Bodenschleifmaschinen verklebte selbst gröbstes Schleifpapier schnell. Der
Einsatz von Lösemitteln verbot sich aus naheliegenden Gründen von selbst.
Schließlich wurden die Kleberreste in aufwendiger und anstrengender Handarbeit
mit Spachteln und Messern entfernt. Diese Maßnahme bewirkte eine Abnahme der
Raumluftkonzentration auf deutlich unter 100 µg/m³.
Als mögliche Sanierungsmaßnahme wurde auch das Überstreichen des Estrichs
mitsamt anhaftender Kleberreste mit einem absperrenden Lack diskutiert. Bei
einer solchen Maßnahme ist aber zu erwarten, daß Phenoxyethanol durch die
Lackschicht hindurchdiffundiert und früher oder später die Luftbelastung
wieder die ursprüngliche Höhe erreicht. Da außerdem keinerlei Erfahrung mit
einer solchen Maßnahme vorlagen, wurde auf entsprechende Versuche
verzichtet.
Auch das Abdichten des Bodens mit einer dampfdichten Metallfolie wurde nach
eingehender Diskussion verworfen. Problematisch erschien hier neben dem
dauerhaft dampfdicht auszuführenden Wandanschluss der Folie vor allem die
Überlegung, dass bei einem Verbleib der phenoxyethanolhaltigen Kleberreste
auf dem Estrichuntergrund unkalkulierbare Migrationsvorgänge früher oder
später zu Luftbelastungen in angrenzenden Räumen führen könnten.
Als einzige langfristig erfolgversprechende Sanierungsmaßnahme wurde daher
die vollständige Entfernung des Teppichbodens und der am Estrich anhaftenden
Kleberreste praktiziert.
© ALAB GmbH, Stand: Oktober 2003