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Drei Jahre nach Abschluß der Umbau- und Sanierungsmaßnahmen in einem Gebäudekomplex des Gründerinnenzentrums der WeiberWirtschaft e.G., in dem bis 1990 Chemieprodukte produziert wurden, treten intensive Geruchsbelästigungen auf. Im Juni 1998 wurde die ALAB GmbH beauftragt, in den etwa 40 betroffenen Räumen Raumluftmessungen durchzuführen. Das Ergebnis waren zum Teil erhebliche Konzentrationen an Naphthalin. Neben diesem intensiv (nach Mottenkugeln) riechenden Stoff wurden in der Luft aromatische Kohlenwasserstoffe, Alkan-Kohlenwasserstoffe, Terpene, Glykolverbindungen, Ketone und Alkohole quantitativ bestimmt. Die meisten der neben Naphthalin ermittelten Substanzen mit erhöhten Konzentrationen konnten durch die aktuelle Nutzung der Räume erklärt werden. Als Komponenten der auftretenden Geruchsbelastungen blieben die Substanzen Naphthalin, Ethylhexanol, Heptanon und Butanol, deren Quelle zu ergründen war.
Das Gründerinnenzentrum der WeiberWirtschaft e.G. befindet sich in einem vier- und
fünfgeschossigen Gebäudekomplex in Berlin - Mitte. Im Vorderhaus und im Seitenflügel
befanden sich immer, soweit nachvollziehbar, die Verwaltungsräume; die
Produktionsstätten und Lagerräume waren in Räumen um den 2. Hof untergebracht, weitere
Lagerräume und eine Werkstatt befanden sich in angrenzenden eingeschossigen
Nebengebäuden.
Die von den Naphthalinemissionen betroffenen Gebäude im Hofbereich wurden um 1900
errichtet und wurden bis 1990 für die Produktion von Chemieprodukten genutzt. Nach
1945 befand sich wahrscheinlich ein Lager der Roten Armee in den Gebäuden. Ab 1949
produzierte hier der VEB Berlin Chemie, später bis 1990 der VEB Berlin Kosmetik.
1992 wurde die WeiberWirtschaft e.G. Eigentümerin durch Kauf von der Treuhand. Für die
Freistellung durch das Land Berlin wurden die Keller, der Boden im Außenbereich und
auch das Grundwasser (ein Beobachtungsbrunnen wurde gebohrt) untersucht und die
ermittelten Altlasten saniert. Untersuchungen der Bausubstanz auf Schadstoffe wurden
nicht vorgenommen.
Die Hofgebäude wurden von 1993 - 1996 umgebaut und saniert. In den ehemaligen
Produktionsräumen wurden die Fliesen und in den meisten Bereichen ein Teil des
Estrichs entfernt. Es wurde auf eine Polyethylenfolie ein neuer Estrich gegossen; die
meisten Räume wurden von den Mieterinnen mit Teppichboden oder Linoleum ausgelegt (
verklebt).
Der Verdacht, daß die in der Luft ermittelten Schadstoffe aus der Bausubstanz, vor
allem den Fußböden ausgasen, wurde durch eine Bohrung bis in die tragenden Teile der
Zwischendecke und die schichtenweise Untersuchung schnell bestätigt. Der Bodenaufbau (
von oben nach unten): Estrich - PE-Folie - Estrich - Teerpappe - Zwischenschicht -
Stoltediele ist typisch für die Bereiche, in denen Naphthalin in der Luft nachweisbar
ist. Die Untersuchungen ergaben in der Teerpappe hohe Gehalte an Polycyclischen
Aromatischen Kohlenwasserstoffen mit einem Anteil von etwa 320 mg/kg Naphthalin.
In den betroffenen Etagen 1 - 4 in den Hofgebäuden wird je 30 m2 ein
Bohrkern aus dem Boden entnommen. Die Böden der Parterre-Räume wurden nicht untersucht,
weil sie im Rahmen der Sanierung neu eingezogen worden waren oder keine Hinweise auf
eine Schadstoffbelastung aus den Luftuntersuchungen vorlagen. Im Dachbereich wurde
eine Bohrung vorgenommen - hier befindet sich keine Teerpappe im Estrich und die
Luftmessungen ergaben nur geringste Naphthalinkonzentrationen. Die einzelnen Horizonte
der Böden (Estrich oberhalb der Polyethylenfolie, Estrich zwischen PE-Folie und
Teerpappe) wurden getrennt untersucht. In jedem Raum wurde eine Probe aus der Wand
entnommen (Mischprobe aus drei Einzelproben), um auch diese mögliche Quelle für die
Luftbelastung zu erfassen.
Nach Überprüfung mehrerer Varianten, die von der Kaschierung der Emissionen mit
Folien über eine Überschichtung des Estrichs mit Aktivkohle bis zur weitgehenden
Entfernung der kontaminierten Böden/Decken reichte, wurde beschlossen, den Estrich mit
der Teerpappe und den Bereich darunter bis zur tragenden Schicht (meist den
Stoltedielen) zu entfernen. Von dieser Totalsanierung sind direkt etwa 2400 m²
betroffen. Während der Sanierung wird allerdings der gesamte Hofbereich nur
eingeschränkt nutzbar sein.
Die Mieterinnen konnten zum Teil in Räume in anderen, nicht kontaminierten Bereichen
des Gewerbehofs umziehen, etliche Firmen sind ganz ausgezogen.
Die Sanierungskosten betragen mehrere Millionen Mark, von denen nach langwierigen
Verhandlungen der Berliner Senat den größten Teil übernehmen wird.
Die Sanierung von Altbauten, insbesondere der Umbau von ehemaligen
Produktionsstätten, ist mit einem erhöhten Risiko durch Altlasten in der Bausubstanz
verbunden. Vor allem wenn die Räume anschließend als Büros oder Wohnungen genutzt
werden sollen, können nicht erkannte Schadstoffe zu einem kostspieligen Problem werden.
Wie das Fallbeispiel zeigt, hätte eine Bohrung an der richtigen Stelle vor/oder
während der Sanierung den Boden-/Deckenaufbau geklärt und auf das Schadstoffproblem
aufmerksam gemacht. Dann wäre zwar eine umfangreichere Sanierung nötig gewesen, aber
insgesamt wären die Kosten deutlich geringer geworden. In der Praxis ist es allerdings
in den meisten Fällen nötig, mit einer rasterartigen Verteilung der Probenahmepunkte
die kontaminierten Bereich auf einer Verdachtsfläche zu finden.
Bei jedem Verdacht auf Schadstoffe in der Bausubstanz, die durch die Vornutzung
deponiert sein können oder wenn während der Bauarbeiten Gerüche auftreten, sollten
Experten für Innenraum-Schadstoffe hinzugezogen werden und durch geeignete
Schadstoffmessungen in der Luft und/oder in Materialproben die Art und die Quelle der
Schadstoffe ermittelt werden.
>>> PDF-Artikel: "Organische Schadstoffe in der Bausubstanz I - 10/1999".
© ALAB GmbH, Stand: Oktober 1999