|
In einer Wohnanlage traten seit mehreren Jahren in einer Vielzahl von Wohnungen
unangenehme Gerüche auf. Insgesamt waren Räume mit einer Gesamtfläche von bis zu
10.000 m² betroffen. Die Gerüche wurden mit "ranzig-käsig bzw. nach
Erbrochenem" beschrieben. Es handelte sich um einen Neubaukomplex, Baujahr
1986/87, der 129 Wohneinheiten umfasst. Der Auftraggeber vermutete, dass der
Bodenbelag die Geruchsquelle ist. Hierbei handelte es sich um Verlegeplatten aus einem
chlorfreien Kunststoff. Der Bodenbelag wurde seinerzeit von dem ausführenden
Bauunternehmen auf dünner Estrich-Abspachtelung streifenförmig verklebt.
Die Reinigung des Bodenbelags und eine erneute Versiegelung hatten nur kurzzeitigen
Erfolg, nach ca. einem Monat trat der Geruch wieder auf. Der Hersteller und der
Generalunternehmer machten nutzungsbedingten Verschleiß der Versiegelung und mangelnde
Pflege für die Geruchsbelastung verantwortlich und lehnten Gewährleistung ab.
Im Dezember 2002 wurde von einem anderen Analyseinstitut eine Raumluftuntersuchung
durchgeführt. Hierbei wurde in einem Wohnzimmer über einen Zeitraum von einer Woche
mittels Aktivkohle-Passivsammler die durchschnittliche Raumluftkonzentration von 88
leichtflüchtigen Verbindungen ermittelt. Die Untersuchung erbrachte keinen Hinweis auf
die Ursachen der wahrgenommenen geruchlichen Beeinträchtigung.
Im August 2003 wurde die ALAB GmbH beauftragt, Raumluftuntersuchungen in einem der
betroffenen Räume durchzuführen. Ziel der Untersuchung war es, die
geruchsverursachende(n) Substanz(en) zu identifizieren. Weiterhin sollte
gegebenenfalls ein möglicher Zusammenhang zwischen der Geruchsbelästigung und den
Bodenbelagplatten aufgezeigt werden.
Da die im Dezember 2002 mit Aktivkohle-Passivsammler durchgeführte Analyse keine
Hinweise auf die Ursache des unangenehmen Geruchs geliefert hatte, wurde von ALAB eine
Kurzzeitmessung unter Randbedingungen durchgeführt, die eher hohe
Schadstoffkonzentrationen begünstigen - sogenannte worste-case-Bedingungen. Hierbei
soll der zu untersuchende Raum 10 Stunden nicht gelüftet werden und die
Raumtemperatur im nutzungsüblichen Bereich liegen. Es wurden zwei Raumluftproben auf
Tenax TA gezogen, die thermisch desorbiert und einerseits quantitativ auf 182
flüchtige bis mittelflüchtige Substanzen sowie andererseits qualitativ bzw.
halbquantitativ auf weitere Verbindungen untersucht wurden. Die Analysen erfolgten
mittels eines mit einem Gaschromatographen gekoppelten Massenspektrometers (GC-MS).
Vorteile dieser Herangehensweise sind:
Die Luftproben wurden im Vorraum zu einem Gemeinschaftsraum gezogen. In dem
angrenzenden Gemeinschaftsraum waren ca. 10 Minuten vor Beginn der Probenahme Fenster
geöffnet worden. Sie wurden unmittelbar vor der Probenahme geschlossen. Im Vorraum
selber waren die Fenster länger als 10 Stunden vor der Probenahme geschlossen.
Klimatische Bedingungen während der Probenahme:
Raumtemperatur | 30°C |
rel. Luftfeuchte innen | 53 % |
Außentemperatur* | 27°CC |
rel. Luftfeuchte außen* | 48 % |
Windrichtung* | Süden |
Windgeschwindigkeit* | 1 m/s |
Zum Zeitpunkt der Probenahme war der Himmel bewölkt mit sonnigen Abschnitten ( *Quelle: Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin-Dahlem).
Bei den routinemäßig quantitativ untersuchten Substanzen erwiesen sich die
Konzentrationen zweier Substanzen als auffällig. Die Auffälligkeit zeigt sich bei der
Gegenüberstellung der Messwerte mit Ziel- und Richtwerten, die in einem
Bewertungskonzept des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der FU Berlin und des
Vereins B.A.U.CH.e.V. abgeleitet werden2:
Vorraum | Bestimmungsgrenze | Zielwert | Richtwert | |
---|---|---|---|---|
[µg/m³] | [µg/m³] | [µg/m³] | [µg/m³] | |
n-Butanol | 43 | 1 | 10 | 25 |
Butanal | 208 | 1 | 5 | 10 |
Zielwerte bezeichnen anzustrebende Raumluftkonzentrationen,
unterhalb derer
auch bei langfristiger Exposition keine gesundheitlichen Nachteile für die
Gesamtbevölkerung auftreten sollten. Die Zielwerte sind technisch erreichbar (z. B.
durch Produktauswahl, Lüftung etc.), sollten aber nicht ausgeschöpft werden. Sie
entsprechen in der Regel den 50-Perzentilwerten (Medianwerten) der oben genannten
Untersuchungen. Die Richtwerte beschreiben ein Konzentrationsniveau, dessen
Überschreitung eine Auffälligkeit darstellt, deren Ursache ermittelt und möglichst
durch geeignete Maßnahmen beseitigt werden sollte. Die Richtwerte werden somit nicht
toxikologisch, sondern statistisch begründet und liegen im Bereich der 90-
Perzentilwerte der genannten Untersuchungen.
Die Auswertung auf unbekannte Substanzen zeigte darüber hinaus eine hohe Konzentration
an Buttersäure.
Vorraum | Geruchsschwellenwert3 | |
---|---|---|
[µg/m³] | [µg/m³] | |
Buttersäure4 | ca. 120 | 4 |
Die hauptsachliche geruchsbildende Komponente in dem untersuchten Raum durfte
Buttersäure sein - sowie in geringerem Mase Butanal. Die gemessene
Raumluftkonzentration von Buttersäure war im Vergleich zum Geruchsschwellenwert von
4 µg/m³ mit ca. 120 µg/m³ sehr hoch. Der Geruch von
Buttersäure wird als "unangenehm ranzig" oder "erinnernd an
Erbrochenes" beschrieben. Diese Beschreibung deckt sich mit den Schilderungen der
Mieter der betroffenen Räume und der Geruchswahrnehmung des ALAB-Mitarbeiters wahrend
der Probenahme.
Das im Bereich Fusbodenbeläge sehr weit verbreitete Material PVC (Polyvinylchlorid)
steht seit etlichen Jahren immer wieder im Blickfeld der Kritik. Einige Aspekte seien
hier kurz genannt: PVC ist ein Produkt der Chlorchemie; Ausgangsstoff für PVC ist die
krebserregende Substanz Vinylchlorid; im Brandfall wird von PVC bereits ab 100‹C
Chlorwasserstoff abgespalten, das in Verbindung mit Wasser oder Luftfeuchtigkeit zu
Salzsäure wird, bei hoheren Temperaturen konnen sich chlorierte Dioxine und Furane
bilden. Einige Städte und Gemeinden haben daher die Verwendung von PVC im Baubereich
in öffentlichen bzw. öffentlich geförderten Gebäauden eingeschrankt. Bei der Auswahl
von Fusbodenbelägen versuchen aber auch Wohnungsbaugesellschaften an Stelle von PVC-
Belägen auf chlorfreie Bodenbeläge auszuweichen. Dies hat dazu geführt, dass grosse
Hersteller bestrebt sind, als Alternative einen chlorfreien Bodenbelag anzubieten.
Nach Auskunft des Herstellers handelt es sich bei dem verlegten Bodenbelag um einen
chlorfreien Werkstoff auf Basis von Polyvinylbutyral (PVB). PVB wird unter Verwendung
von Butanal produziert5. Als Einsatzbereiche werden genannt: Verarbeitung
zu Folien für Verbundglas, Bestandteil von Lacken, Druckfarben, Phenolharzklebern,
Textilbeschichtungen. Die Verwendung von PVB als Fussbodenbelag ist in der Literatur
nicht beschrieben. Eine mögliche Ursache hierfur konnte in der Empfindlichkeit des PVB
liegen. Reines PVB kann durch Säuren, bedingt auch durch Laugen und heisses Wasser
hydrolytisch zersetzt werden6. Als direkte bzw. indirekte
Zersetzungsprodukte kommen u. a. Butanol, Butanal und Buttersäure vor.
Da Hersteller und Generalunternehmer nutzungsbedingten Verschleiss der Versiegelung und
mangelnde Pflege fur die Geruchsbelastung verantwortlich machten, wird einerseits
eingestanden, dass der Geruch mit dem Bodenbelag in Zusammenhang steht. Andererseits
hat der Hersteller eine genaue Pflegeanleitung mit ausgewiesenen Pflegeprodukten
erstellt, die mit dem Satz schliesst: "Bei Beachtung der Pflegeanleitung bleibt
der Wert des Bodens lange erhalten". Auf eine eventuelle Unverträglichkeit des
Bodenbelags z.B. mit sauren oder alkalischen Reinigungs- oder Pflegemitteln wird in
diesem Merkblatt nicht hingewiesen. Da aber in Mietraumen von jedem Nutzer auf
handelsübliche Produkte zuruckgegriffen wird, stellt sich die Frage, ob es nicht fast
zwangsläufig - früher oder später - zum Einsatz nicht vertraglicher Pflege- und
Reinigungsmittel kommen muss.
Auch Butanal und Butanol - beides Vorläufersubstanzen bei der Bildung von
Buttersäure - waren mit 208 µg/m³ bzw. 43 µg/m³ in
ungewöhnlich hohen Konzentrationen nachweisbar.
Vor diesem Hintergrund und aufgrund des offensichtlichen Fehlens weiterer potenzieller
Quellen der genannten Substanzen kam der Bodenbelag als Hauptquelle für die in
vergleichsweise sehr hohen Konzentrationen nachgewiesenen Substanzen Butanol, Butanal
und Buttersaure in Betracht.
1nach Angben des Auftraggebers
2veröffentlicht in: Schleibinger H. et al.: Ziel- und Richtwerte zur
Bewertung der VOC-Konzentrationen in der Innenraumluft – ein
Diskussionsbeitrag. Umweltmedizin in Forschung und Praxis 7 (3), 139 - 147 (2002)
3Schriftenreihe des Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI) Bd. 5:
Feststellung und Beurteilung von Geruchsimmissionen.
4halbquantitativ bestimmt
5Römpp Chemielexikon, Georg Thieme Verlag Stuttgart, New York 1993
6Franck, A., Biederbick, K.: Kunststoff-Kompendium. Vogel Buchverlag,
Würzburg 1990
>>> PDF-Artikel: "Organische Schadstoffe in der Bausubstanz II - 02/2004".
© ALAB GmbH, Stand: Februar 2004